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Von der gewaschenen Rohwolle oder dem Kämmling zum Kardenband – Kardieren

Nicht jede Wolle besteht aus langen Fasern. Selbst bei langfaserigen Sorten bleibt nach dem Kämmen der Wolle eine nicht unerhebliche Menge an Material übrig, der Kämmling – siehe Vom Schaf zur Textilie #2

Um aus diesem, und den Wollsorten mit kurzen Fasern, ein brauchbares Vorgespinst herzustellen, werden Karden eingesetzt, wie zum Beispiel dieses Paar in der Abbildung

Von Karden und Karden – eine kleine Begriffsklärung

Der Vorgang der Wollbearbeitung mit Karden wird als kardieren oder kardätschen bezeichnet, um am Ende ein Kardenband zu erhalten. In manchen Gegenden spricht man auch von krempeln und nennt das fertige Vorgespinnst entsprechend Krempelwolle. Die buntfarbige Märchenwolle wird auch häufig unter diesem Namen angeboten. Ob Kardenband oder Krempelwolle, beides sind Produkte durch das gleiche Verfahren.

Ein anderer Begriff, der in manchen Regionen umgangssprachlich verwendet wird, ist kratzen. Das sorgt immer wieder für Verwirrung, denn mit kratzen wird bei der Verarbeitung von Fasern, wie Herstellung von Stoffen, eigentlich ein anderes Verfahren beschrieben, das aufrauen bzw. flauschig machen von textilen Oberflächen. Dazu wurden seit dem späten Mittelalter die getrockneten Fruchtstände der Weber-Karde verwendet, die verwandt mit unserer heimischen Wilden Karde ist.

Zu unterscheiden sind die beiden Kardenarten vor allem durch ihre unterschiedlich gebogenen Hüllblätter. Die der Wilden Karde steigen in einem großen Bogen auf, die der Weber-Karde stehen eher waagerecht.

Wilde Karde vor der Blüte

Die hakenförmigen Spreublätter gleichen in der Form zwar den feinen Stahlnadeln der Karden, die ich heute vorstelle, sind aber viel zu zart um Rohwolle gerade zu richten, verfilzte Fasern zu lösen und Knötchen zu entfernen. Sie würden abbrechen und in den Wollfasern stecken bleiben.

Fruchtstand der Wilden Karde

Falls meine Weber-Karden im Garten blühen sollten, werde ich mich im Herbst an den Einsatz des getrockneten Fruchtstands versuchen und zeigen, wie sie verwendet wurden. Doch das wird noch etwas dauern. Deshalb komme ich zurück zum eigentlichem Thema, kardieren.

Kardieren in der Geschichte

Kardieren ist eine Technik zur Reinigung, wie Vorbereitung von Fasern zum Verspinnen. Sie kam ca. Mitte des 14. Jahrhunderts auf. Eine Abbildung einer kardierenden Frau lässt sich in den Smithfield Decretals des Papstes Gregor IX. von 1234 finden. Dazu besuchte ich das Onlinearchiv der British Library, blätterte mich durch die digitalisierten Seiten, um auf der 137. Doppelseite (f.137.v) fündig zu werden.

Quelle

Was sich wie Arbeit anhört machte riesig Spaß, denn mich begeisterten in dieser reichlich bebilderten Sammlung an Rechts(an)fragen und deren Entscheidungen aus dem Mittelalter vor allem die vielen Darstellung von Szenen aus dem mittelalterlichen Alltag.

Wie in der alten Abbildung zu sehen ist hält die Dame zwei Werkzeuge in der Hand, die sich bis heute fast nicht verändert haben.

Meine beinahe fünfzig Jahre alten Karden, immer noch im Einsatz

Handkarden

Handkarden, oder einfach nur Karden, bestehen aus einem leicht gebogenen Holzstück und einem Griff. Auf der Wölbung wurde früher ein Stück Leder, heutzutage ist es ein Stück Kunststoff, aufgebracht. In dem Leder, oder Kunststoff stecken viele kleine, gebogene Drähtchen, die zum Griff schauen.

Die Anzahl der Nadeln entscheidet darüber, wie fein die Fasern später ausgerichtet sind. Es ist allerdings auch eine Frage des benötigten Kraftaufwands! Um Knubbel, Knötchen und verfilzte Stellen zu lösen gehe ich den Weg des geringsten Widerstandes und beginne mit einer groben Benadelung. Im Leder meiner beinahe antiken Karden stecken 108 Nadeln auf den Quadratzoll und in meinen modernen 72 Nadeln.

Kardiert wird mit zwei Karden, einem Kardenpaar. Zu Beginn wird eine der Karden mit Fasern bestückt, das heißt in die gekrümmten Haken oder Nadeln eingehängt. Bei der Menge an Fasern gilt weniger ist mehr, um zügig arbeiten zu können!

Hier auf dem Foto ist das Durcheinander an kurzen und langen Fasern ganz gut zu erkennen. Anders als beim Kämmen werden keine Fasern herausgearbeitet, sondern alle in eine Richtung gerichtet.

In einer Hand liegt nun die gefüllte Karde, mit den Nadeln nach oben. In der anderen Hand habe ich die andere Karde, mit den Nadeln nach unten, die ich sachte auf die Wolle der gefüllten Karde lege, bevor ich beide Karden auseinanderziehe und die Kardennadeln die Fasern auseinander streichen – der erste Schritt zum Streichgarn.
Drücke ich die Haken der beiden Karden zu fest aufeinander verhaken sie sich und ich benötige mehr Kraft um Haken wie Fasern auseinanderzuziehen. Kontraproduktiv. Bringt nichts, außer Frust.
Sachte, locker, denn es geht darum die Fasern zu bearbeiten.

Bewusst habe ich rechte Hand oder linke Hand nicht erwähnt. Als umerzogene Linkshänderin habe ich mir in einigen Bereichen die Beidhändigkeit erhalten.

Nachdem ich die Karden vier bis fünf Mal gegeneinander ausgestrichen habe sieht das Ergebnis schon deutlich besser aus.

Nach einer Reihe von Hin- und Herbewegungen und Hin- und Herschiebens der Kämme lege ich beide Faservliese auf einen Kamm ab, bevor ich sie zu Röllchen zusammenschiebe.

Sind genügend lange Fasern in dieser Rolle kann ich, wie beim Kammzug, die Lochscheibe, den Strecker oder die Diz, einsetzen um ein Kardenband zu ziehen.

Die Flickkarde

Eine Besonderheit der Handkarden ist die Flickkarde. Sie wird einzeln verwendet, hat einen langen Griff und ist deutlich kleiner, als die Kardenpaare.

Ich verwende sie vor allem zum Reinigen der Kardenpaare – der lange Stiel verhindert, dass ich die Haut an meinen Fingerknöcheln an den vielen Drähten verletze.
Ansonsten ist diese Karde ideal zum Entwirren und Auflockern langer Fasern beim Handspinnen.

Dazu hänge ich die Faserflocke mittig in die Karde ein und ziehe sie einmal durch, drehe die Flocke und wiederhole den Vorgang.

Die Trommelkarde

Bei großen Mengen an Material lohnt sich der Einsatz einer Trommelkarde (auch Walzenkarde, Kardiermaschine oder Handkardiermaschine genannt).

Erfunden wurden die Kardiermaschinen mit Walzen und Kurbelbetrieb Mitte des 18. Jahrhunderts in England. Der Belag mit den Drahthäkchen wurde dazu außen auf Walzen bzw. Trommeln aufgebracht, die gegeneinander laufen.

Kardiermaschine im Industriemuseum Textilfabrik CromfordQuelle

Meine Trommelkarde läuft nur mit zwei Walzen, ist deutlich kleiner und reicht für meine Bedürfnisse völlig aus.

Das Prinzip ist allerdings das gleiche. Über den kleinen Tisch, links, wird die kleinere Walze befüllt. Über einen Riemen sind die Walzen miteinander verbunden. Drehe ich die Kurbel bewegt sich die größere Trommel, zusammen mit der kleineren. Bei der Drehung ziehen die Haken der größeren Trommel Fasern von der kleineren, die sich zwischen ihnen ablegen.

Ist die Trommel voll wird das Faservlies durchtrennt und abgenommen.

Meist reicht ein Durchgang durch die Kardiermaschine nicht!
Drei, vier, fünf Mal drehe ich die Wolle unter Umständen durch die Nadelwalzen, bis ich zufrieden bin. Lieber jetzt einen Arbeitsgang mehr durchführen, als es später beim Spinnen schwieriger zu haben!

Übrig bleiben der Abfall und vor allem die kardierte Wolle.

Meist nehme ich die Wolle nur ab und bin damit zufrieden.

Sind jedoch genügend lange Fasern in dem Fasergemisch ziehe ich mir Kardenbänder, direkt von der Trommel. Dazu benutze ich wieder den Strecker, oder Diz-Scheibe.

Maschinell sieht und hört sich der Vorgang etwas anders an, nämlich so … Link zu Wikipedia (Stand 10.06.2020) … es ist ein ziemlich anstrengender, staubiger Prozess.

Kardierbrett oder Blending Board

Eine Sonderform der Geräte zum Kardieren ist das Kardierbrett, inzwischen oft Blending Board genannt. Es wird nicht zum Reinigen der Rohwolle benutzt oder zum Entwirren der Wollfasern.

Mithilfe oder auf dem Kardierbrett werden Fasern gemischt; Fasern unterschiedlicher Qualität und Ursprung (zum Beispiel Wolle und Seide) oder Farbe.

Ich besitze kein Kardierbrett und werde mir höchstwahrscheinlich keines kaufen oder bauen. Falls ich meine Meinung zu Kardenbändern mit Farbverläufen ändern werde kann ich dazu auch meine Trommelkarde verwenden.

Da ich meine Wolle nicht in der Flocke färbe, sondern nur gesponnen, werde ich nicht die Gelegenheit haben gefärbte Wolle zu kardieren – Ausnahmen zugelassen.

Was man noch zum Kardieren wissen sollte, falls man/frau sich an traditionelle Wollverarbeitung setzen möchte

Hochwertiges Garn, das Kammgarn, ergibt vor allem der Kammzug. Deshalb ziehe ich Wolle meist erst einmal aus!

Beim Kardieren werden lange wie kurze Fasern in eine Richtung gestrichen, zum Streichgarn.
Aus Streichgarn werden die meisten Stoffe für Oberbekleidung hergestellt, wie auch Teppich- und Handstrickwolle.

Trommelkarden mit Kurbelbetrieb kann man sich leihen. Das lohnt sich, wenn man es einfach einmal ausprobieren möchte.

Wer keine Lust hat frisch geschorene Wolle selber zu waschen und zum Spinnen vorzubereiten kann das auch machen lassen – einfach „Wolle kardieren lassen“ googeln.

Zum Abschluss kommt noch ein Video, auf englisch aber das beste, das es zum Kardieren gibt:
Carding Wool like a Ghost von Lois Swales

Die Wolle aus der Schafschur 2019 ist verarbeitet und bereit für die nächsten Schritte.

Fortsetzung folgt.

Bis die Tage,


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Kommentare

So spannend. Jetzt nach all den Jahren habe ich endlich den Zusammenhang zur wilden Karde erfahren…
Ich habe mir früher die Kardiermaschine leichen können und die gefärbte Rohwolle kardiert. Das Erlebnis war wirklich unvergesslich.
Liebe Grüße
Andrea

Von der Theorie her alles wohlbekannt, aber eine ganz andere Erfahrung, wenn es von einer dargestellt wird, die mit Herzblut ba die Sache rangeht. Danke!
Gute Nacht!
Astrid

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