oder …
Mehr als ein halbes Jahrhundert Schule und immer noch nicht fertig!
Ich erinnere mich an eine Frage, vor Jahren, an meinen Sohn und seine Schwester gestellt, doch richtig im Gedächtnis blieb mir seine Antwort:
„Meine Schwester geht auf’s Gymnasium, ich auf die Realschule und Mutti, tja, die wird wohl auf der Hauptschule bleiben.“
Die Aussage kann man sehr verschieden auslegen. Die beste Grundschulempfehlung hatte meine Große, die beste Mittlere Reife hatte ich und das beste Abitur Sohnemann. So hat jeder sein Highlight aus der Schulzeit.
1 Das erste Schuljahr
1965 begann das Schuljahr noch zu Ostern, entsprechend wurde eingeschult. Die offiziellen Einschulungsfotos entstanden jedoch erst im Herbst, zum Glück, denn inzwischen hatte ich wieder Zähne im sichtbaren vorderen Bereich.
Im Fotoalbum fand ich noch ein anderes Foto, das mich zusammen mit meiner Freundin auf unserem ersten Schulweg zeigt. Noch hatten wir die Hoffnung zusammen in einer Klasse zu sein. Was waren wir traurig, dass dem dann nicht so war! Inzwischen bin ich noch viel trauriger sie nicht mehr auf dieser Welt zu wissen.
Wie stolz wir auf unsere Schultüten waren! Auch wenn sie unten in der Spitze mit Zeitung ausgestopft nicht arg viel Inhalt hatten, doch an den Luxus der Tafel Schokolade, den neuen Buntstiften und der Tüte Bonbons, nur für mich, kann ich mich noch gut erinnern! Und meine Tüte war sechseckig und nicht rund wie alle anderen!
Riesige Klassen waren es und viele. Ich ging in die 1e mit mehr als 50 SchülerInnen. Die junge Lehrerin teilte irgendwann die Klasse in zwei Leistungsstufen, ungeschickterweise mit den Namen „Wiesele“ und „Wusele“, die „Guten“ und die „Bösen“. Durch meine Rechtschreibschwäche landete ich bei den, … na was meint ihr? …, Wusele. Das traf mich schwer. Zudem schickte man mich in einen Sprachkurs, da ich wohl einen Sprachfehler hätte. Der Meinung war meine Mutter zwar nicht, doch sie brachte mich brav einmal die Woche ins Gesundheitsamt zur Sprechschule. Ich erinnere mich noch blass an Worte, die ich nachsagen sollte, wie „Schlüssel, Susi, russisch, …“. Irgendwann wurde ich als geheilt verabschiedet. Meine Mutter ist immer noch sicher, dass man mich mit jemand anderem verwechselt hatte. Doch die Damen und Herren ließen nicht mit sich reden, gaben ihr auch keine weitere Auskunft.
Nun denn, nach der „Heilung“ durfte ich nach einer erfolgreichen Lesenote zu den Wiesele wechseln!
2 Handarbeitsuntericht in der Grundschule
Was hatte ich mich auf diese Stunden gefreut und sie dann ganz schnell hassen gelernt. Wir lernten häkeln in der zweiten Klasse und sollten irgendwann unsere Puppen mit Eigenkreationen mitbringen. So saßen wir Mädels in dieser Vorstellungsrunde und präsentierten unsere Puppen. Nachdem ich meine Puppe hob und zeigte stellte mich Frau S. auf einen Tisch, mit den Worten: „So sieht eine Lügnerin aus!“. Ich verließ die Schule fluchtartig – ein völlig unverzeihliches Fehlverhalten in dieser Zeit. Irgendwie brachte meine Mutter wieder Frieden in die Sache, aber Spaß hatte ich keinen mehr bei Frau S. im Unterricht.
Für mich sind Erfahrungen aus der Grundschulzeit Schlüsselerlebnisse, die mich so geprägt haben, um viele meiner Handlungen, wie Entscheidungen als Lehrerin, heute noch zu beeinflussen.
3 Grundschuljahre = Kurzschuljahre
Nach der ersten Klasse, die noch Ostern endete kam es zur großen Änderung. In Zukunft sollten die Schuljahre im Herbst, nach den Sommerferien beginnen. Dazu wurden zwei Schuljahre auf jeweils ein Dreivierteljahr gekürzt und zogen als Kurzschuljahre in die Geschichte ein. So hatte ich nach eineinhalb Jahren die zweite und die dritte Klasse im Schnellverfahren erledigt. Dummerweise wurden in meiner Schule zwei Lehrerinnen krank und eine schwanger, was so viel hieß, dass in noch mehr Schichtdienst in den Klassen unterrichtet wurde, oder an einem Doppeltisch drei SchülerInnen saßen. Zudem schafften viele SchülerInnen es nicht das benötigtes Wissen in so kurzer Zeit zu verinnerlichen um es ins nächste Schuljahr zu schaffen. In der vierten Klasse, im ersten wieder regulär laufendem ganzen Schuljahr, waren viele bekannte KlassenkameradInnen durch Neuzugänge aus anderen Klassen ausgetauscht.
4 Realschule
Als eine der wenigen, die ohne Probleme die Kurzschuljahre überstanden hatten, saß ich als Zweitjüngste in meiner neuen Klasse nach der Grundschulzeit. Es war eine schwierige Entscheidung meiner Eltern gewesen mich in eine mir entsprechende weiterführende Schulart zu stecken. Die Realschule war in der Nachbarschaft zu Fuß zu erreichen. Zum Gymnasium gab es keine funktionierende Buslinie und den Fußweg von 30 Minuten quer durch die Stadt wollten mir meine Eltern ersparen. Den Zuschlag bekam die Realschule, die ich trotz ein paar, wenigen, Tiefen mit 15 Jahren, mit einem Megasuperzeugnis, abschließen konnte.
Absolut mistig hatte ich es gefunden, wie Mädchen und Jungen von vorne herein in hauswirtschaftlich/textile und handwerkliche Fächer aufgeteilt wurden. Ich wollte, nicht nur aus den unangenehmen Erfahrungen aus meiner Grundschulzeit heraus, nicht in Kochen und Handarbeit. Keine Chance! Mädchen gehörten laut Plan in die Küche und Jungs in den Werkraum. Irgendwann hatte ich den Mut und heulte mich nicht nur zuhause sondern noch bei meiner Klassenlehrerin und meiner Erdkundelehrerin aus. Beide konnten meinen Wunsch verstehen und traten eine Welle los in Richtung Schulleitung, Schulamt und weiter nach oben. Sie erreichten, dass meine Freundin und ich in der Parallelklasse am Werk-Unterricht der Jungs teilnehmen durften, zusätzlich zu unseren regulären Näh- und Kochstunden. Wir Mädels waren glücklich, drei Nachmittage lang. Danach verweigerte der Werklehrer uns weiter in den Stunden zu dulden. Wir würden die Jungs ablenken und demotivieren (wir hatten die Holzschale einfach schneller und besser aus dem Brett herausgeklopft gehabt und so etwas geht gar nicht!). Überhaupt, alles muss doch seine Ordnung haben. Punkt. Abgeheult bei meiner Klassenlehrerin bin ich seit dieser Zeit immer in irgendeiner Art und Weise sozial und politisch aktiv.
5 Wirtschaftsgmnasium
Dieser Weg zum Abitur zu kommen war eine Notlösung. Mir wäre das Technische Gymnasium lieber gewesen, doch schon bei der ersten Vorstellung dort kamen Aussagen wie: „Mädchen haben es potentiell schwierig hier. Mädchen halt!“. Die mangelhaft in Physik im 1. Halbjahr der 9. Klasse war dann ein Aufhänger, den die „2“ in der Mittleren Reife nicht wett machen konnte, für sorgenvolle Blicke über meine zu vermutenden Lücken in technischen Angelegenheiten. Blieben die Alternativen Hauswirtschaftliches Gymnasium und Wirtschaftsgymnasium. Nun denn, vielleicht hätte ich doch lieber die erste Alternative gewählt, denn trotz aller mathematischer Kompetenzen fehlte mir die Bereitschaft mich auf wirtschaftliche und buchhalterische Strategien einzulassen. Trotz aller Perfektionierung von Spickzetteln und Entwicklung neuer Methoden zum Verbessern der schriftlichen Leistungen hatte ich meine Sorgen, ob ich das Abitur in den Wirtschaftsfächern bestehen würde. Wahrscheinlich hätte ich es sogar geschafft. Meine Glanzleistung beim Schummeln hatte ich bei meiner letzten Physikarbeit. Die Lösungen schrieb ich fast komplett aus den Unterlagen des Lehrers ab. Er hatte sie offen auf dem Lehrerpult liegen gehabt. Naja, ok, einmal habe ich in seinem Script umgeblättert und vor der Weiterarbeit an meiner Klassenarbeit erst einmal etwas Adrenalin abatmen müssen. Es war auch das letzte Mal. Mir war das zu anstrengend, die Sorge erwischt zu werden zu groß, da lernte ich doch lieber besser.
In den vielen Jahren danach als Lehrerin hat es nur ein Schüler geschafft mich in Sachen Täuschung zu übertrumpfen. Inzwischen selbst schon Vater begegne ich ihm ab und an und vielleicht verrät er mir seinen Kniff dann auch mal.
6 Die Stuttgarter Jahre und die Lehrerausbildung
Diese vier Jahre am Pädagogischen Fachinstitut und Fachseminar zähle ich zu meinen schönsten Schuljahren. Sie waren verflixt anstrengend, doch kreativ an allen Ecken und Enden. Endlich konnte ich Werken, mit Holz, mit Ton, mit Kunststoff und Metall. Viele Stunden waren mit praktischen künstlerischen Aufgaben zugepackt, dass ich im Nachhinein die nicht unerhebliche Anzahl an theoretischen Stunden mit Mathe, Deutsch, Englisch und pädagogisch-methodischen Fächern völlig vergesse. Die üblichen Hauptfächer mussten sein, denn neben der Lehrerausbildung sollte noch eine Fachhochschulreife erlangt werden.
Weit über 100 Bewerber hatten sich zu den drei Tagen Aufnahmeprüfung angemeldet, 30 wurden aufgenommen. Ein Grüppchen von acht Bewerbern verstand sich auf Anhieb und wir verbrachten die drei Tage auch in den Pausen zusammen. Alle von uns acht bestanden, eine trat die Ausbildung nicht an und von den sieben verbliebenen sind wir noch fünf, die auf irgendeiner Art und Weise regelmäßig im Kontakt sind.
Die künstlerische Freiheit, die man uns als Studenten gegeben hatte war enorm groß. Ob wir uns alleine in ein Eck zurückzogen und malten, oder als Gruppe skurrile Projekte entwickelten war im künstlerisch, kreativen Bereich akzeptiert, wie auch (wie auf dem Foto bei einer Feier zum zweijährigen) ein wenig Kabarett, oder satirisches. In Keramik, Holz und Metall ging es deutlich strikter zu. Material verstehen lernen und die Verwendung der passenden Werkzeuge, Werkstücke produzieren standen als Aufgaben im Vordergrund und danach kam es zum Freiraum für Eigenes. Unabsichtlich entwickelte sich aus dem Metallbereich eine Aufgabe – Teesiebe – als Dauernebenprojekt unserer Ausbildung. Wir sammelten, entwickelten, „sahen“ Teesiebe an allen Ecken und Enden und so wuchs eine nette Sammlung an funktionierenden, originellen, sonderbaren und witzigen Teesieben in einer der großen Vitrinen im Eingangsbereich unserer Ausbildungsschule. In der Nachbarvitrine veränderte sich einsam eine Birne mit Gesicht. Ende der 1970er, Anfang der 1980er stand dieses Obst für einen Politiker. Man ließ uns gewähren.
7 Der Dienstantritt
Auch 1981 entließ man Junglehrer nach der Ausbildung und sie mussten zusehen wie sie finanziell über die Sommerferien über die Runden kamen. Ich war diese Wochen in Schweden, half meinem Freund nach seinem Umzug nach Stockholm sich einzurichten. Alle zwei, drei Tage stand ich am Münztelefon und warf meine über die Tage gesammelten Kronenmünzen ein um meine Eltern anzurufen, ob endlich ein Bescheid zur Einstellung gekommen ist. Diese verflixte Maschine schluckte die Geldstücke schneller als ich sprechen konnte!
Nach fünf Wochen kam endlich der Bescheid, dass ich eingestellt werden würde, gefolgt von einem sehr gedämpften „Juhuu“. Damals noch in Oberschulamtsbezirke eingeteilt hatte ich gehofft zumindest im Bereich vom Oberschulamt Stuttgart eine Stelle zu bekommen. Es wurde Oberschulamt Freiburg, aber nicht entlang des Rheins zur französischen Grenze, nein, Hochrheingebiet, finsterste deutsche Provinz, 200 km weg von zuhause und 200 km weiter weg von meinem Freund. Dazu musste ich innerhalb von drei Tagen diese Stelle persönlich bestätigen.
Taschen gepackt, mich von meinem Freund tränenreich verabschiedet, in meinen 2CV4 gestiegen und mich mit 90km/h maximaler Stundengeschwindigkeit (bergab oder mit Rückenwind) auf den Weg nachhause gemacht. Passend zu meiner Stimmung kam einer der ersten Herbststürme auf. Wer schon einmal eine Ente selbst gefahren hat weiß was Wind für dieses Fahrzeug bedeutet. Das Faltdach bläht sich auf, die Fensterflügel flattern, der Gebläseschacht über dem Armaturenbrett vibriert – man hat schon bei geringer Geschwindigkeit das Gefühl abzuheben, um sich den Graugänsen am Himmel anzuschließen. Zumindest die Richtung stimmte! Ich fuhr durch bis Helsingborg, setzte über nach Helsingør, fuhr weiter durch Dänemark nach Rødbyhavn um nach Puttgarden überzusetzen. Der Wind nahm immer mehr zu. Auf der Fehmarnsundbrücke standen Laster auf einer Spur und bildeten einen Windschutz für die PKW, die nur noch im Schritt fahren konnten. Am Brückenende war ich so fertig mit der Welt, dass ich, obwohl es inzwischen schon spätabends war, eine Tante meines Freundes in Hamburg anrief und sie um Quartier bat. Ich hatte sie vorher erst einmal gesehen, doch was war ich glücklich bei ihr gegen Mitternacht wärmstens aufgenommen zu werden. Von oben bis unten verspannt, durch die Kraftanstrengung das Lenkrad in meinem beinahe Flugmobil auf der Spur zu halten, fiel ich wie ein Stein ins gemachte Bett. Zwei Tage später stand ich dann im Schulamt in Waldshut, wo man mir auf meine Frage, ob es denn eine Chance gäbe auf eine Stelle näher an Stuttgart, die Antwort gab: Wenn Sie diese Stelle nicht annehmen zeigen Sie ihr Nichtinteresse am Schuldienst in Baden-Württemberg.
Ich trat die Stelle an, als Fachlehrerin für musisch-technische Fächer, was damals hieß, mit Lehrbefähigung für die Fächer Kunst und Werken.
8 Das erste Dienstjahr
Mein lieber Mann, wenn ich mir das im Nachhinein so vorstelle! Ich war, alleine durch die Kurzschuljahre, gerade einmal 21 Jahre alt als ich meine erste Stelle als Lehrerin begann. Mein ältester Schüler in der 9. Klasse war 19! Wie oft hatten diese 9er mir mein Auto so zwischen zwei Bäume gehoben, dass sie meinten, ich käme da nicht mehr weg. Wer jedoch seine Ente kennt, weiß sie aus dem engsten Parkplatz zu wuppen, auch alleine, blond, mit schmalen Schultern.
Aber mal ganz von vorne. Ich war geschockt als ich das erste Mal vor diesem Schulhaus on the edge of nowhere stand. Ich befand mich in einem Dorf, das an der einen Seite den Rhein hatte und auf der anderen Seite eine Hügelkette, die meine Ente in der Steigung kaum bewältigen konnte. Eingekesselt in der Einflugschneise zum Flughafen von Zürich ist das der einzige Eindruck von großer, weiter Welt, denn damals wie heute liegen fast alle näheren Sehenswürdigkeiten auch in der Schweiz. Vielleicht bin ich jetzt etwas ungerecht, doch immerhin wurde ich als Stadtkind mit hochtrabenden Ökotendenzen und Zurück-zur-Natur-Idealen von jetzt auf nachher geerdet.
Der erste Besuch der Schule zeigte zumindest einen ordentliche Bau, und ich konnte von einem intakten Werkraum träumen. Ausgeträumt war es am ersten Schultag, als mir ein Kellerrraum präsentiert wurde. Werkbänke waren vorhanden, auch ein Schrank mit ein paar Werkzeugblöcken. In einem Gelass stand eine Kreissäge, die der Hausmeister zu seinem Eigentum zählte (ich aber in diesem Zustand auch nie hätte benutzen wollen). Material – Fragezeichen. Elektrische Bohrmaschine – Fragezeichen. Drei schmale Fenster als Oberlichter mit wenig Eignung als Belüftung. Der junge, neue Rektor zeigte sich aufgeschlossen Gelder zu besorgen für neue Geräte. Aber wo besorgen? Ich hatte bis auf Mittwoch immer nachmittags Unterricht. Und am Mittwoch waren in der Kreisstadt Waldshut am Nachmittag alle Geschäfte geschlossen. So besorgte ich meinen Material- und Werkzeugeinkauf immer am Wochenende zuhause rund um Stuttgart und hatte auf dem Rückweg meine Sorgen all das Zeug zwei Mal über die Grenze zu bringen. Der schnellste und einfachste Weg führte über Schaffhausen in der Schweiz.
Andere Geschichte aus der Zeit im tiefen Süden. Meine Wohnung war eine zweigeteilte Angelegenheit, lag im Obergeschoss eines ehemaligen Stallgebäudes, über eine schmale Holzstiege an der Außenseite zu erreichen. Dafür war der Parkplatz mehr als großzügig. Von der Stiege aus gelangte man in einen Flur, von dem aus drei Türen gingen. Geradeaus kam man in eine abgeschlossene Wohnung. Meine „Wohnung“ hatte die Tür links zum Schlaf-/Wohnzimmer und die Tür rechts zu Küche, Bad und Balkon. Damit hätte ich mich irgendwie und irgendwann arrangieren können, aber dass die Heizung immer erst dann angeschaltet wurde, wenn mein Nachbar abends nachhause kam war, vor allem in den Wintermonaten, unerträglich.
Es waren noch etliche andere Dinge unerträglich, aber ein Ereignis hat sich in all den Ungeschichten eingeprägt, zusammen mit meinem auf der Autobahn liegen gebliebenen Auto nach der kältesten Nacht dieses Dezembers. Ich lag durchgefroren vom Tag, durchgefroren von einer Nacht ohne Heizung (der Nachbar war auf einer Dienstreise) mit Wintermantel im Bett als die Meldung beim Aufstehen im Radio kam, John Lennon war gestorben.
https://www.abendblatt.de/politik/ausland/article107064948/Der-Tag-an-dem-John-Lennon-starb.html
Von diesem Jahr könnte ich noch Geschichten erzählen, die ein Buch füllen würden. Aber ich beschränke es auf eine.
9 Der erste Schulunfall
Unfälle passieren, trotz aller Vorbereitung, Ermahnung, Sicherheitsbelehrung, … .
Heute bauten meine 10er die niegelnagelneuen elektrischen Dekupiersägen auf und durften sie nach einer Einweisung ausprobieren. Bis auf einen Schüler wollten alle sofort loslegen, waren ganz heiß auf Maschineneinsatz. Dieser eine Schüler fragte, ob er das Werkstück mit der Hand aussägen dürfte: „Nee, Frau Be. Lassen sie mal die anderen ran. Ich hab‘ da Schiss. Echt. Die Dinger sehen so harmlos aus und schon ist das Sägeblatt im Finger.“ Ich fand diese ehrliche Aussage sehr mutig im Beisein seiner Mitschüler. Doch sie gingen, nach dem Gehörten, sehr viel vorsichtiger an die Maschinenarbeit als sie es sonst gemacht hätten. Nur findet man nicht immer Vernunft in den Handlungen im Unterricht.
Doch zurück zum ersten Dienstjahr und dem ersten Unfall. Zweite Klasse, Kunstunterricht, es wurden Linien mit Bleistift und Buntstiften gezogen als ich zuerst ein „Oh“ hörte und dann einen Aufschrei. Eine Klasse im Zaum zu halten ist schon eine Sache für sich. Eine Klasse, die einen Schreck erfahren hat zur Ruhe zu bringen ist Schwerstarbeit auf ganz vielen Ebenen: selber Ruhe bewahren, zur Unglücksstelle kommen, betroffenen Schüler finden, die Unglücksursache herausfinden, die umstehenden Schüler beruhigen, die Sachlage begutachten, den betroffenen Schüler beruhigen, die anderen Schüler beruhigen, zwei/drei Schüler bestimmen die Hilfe holen, zwei/drei Schüler bestimmen die den betroffenen Schüler trösten, den Rest der Schüler mit irgendwelchen Beschäftigungen stetig und langsam aus dem Unfallgebiet holen und so beschäftigen, dass sie auch beschäftigt sind, … ,
Was passiert war? Ein Schüler hatte sich einen Buntstift in die Hand gestoßen, dass er auf der Handfläche herauskam. Ich frage mich heute noch wie das passiert ist, denn es war für eine zweite Klasse ruhig gewesen, keiner hatte großartig gehampelt. Es ist passiert. Die Mutter sah es völlig entspannt, als sie den Burschen abholte. Es blieb auch kein Schaden, denn der Stift ist zwischen Sehnen und Knochen glatt durch die Hand gegangen. Aber ich hatte nun die Realerfahrung hinter mir, von wegen Handeln in Notfallsituationen. Es sollte nicht die einzige bleiben.
10 Versetzung, Abordnung, noch eine Versetzung usw.
Lauter neue Schulanfänge folgten nach dem ersten Schuljahr als Lehrerin im südlichsten Süden. Eine Woche vor dem Beginn meines zweiten Dienstjahres kam die Versetzung ins Schulamt meiner Wahl. Meine Vermieterin hatte es schneller erfahren als ich und hatte mich buchstäblich vor die Tür gesetzt. Kurz vor Ferienende fanden meine Eltern alle meine Besitztümer aus der „Wohnung“ geräumt im Flur, die Zimmer mit neuen Schlössern versehen. Sie hatten eigentlich ein paar Tage Ferien dort in der Gegend machen wollen und standen trotz bezahlter Miete vor verschlossenenen Türen. Egal, ich war versetzt worden. Gut. Wobei auch Gut manchmal zwei Seiten hat, denn in den nächsten sieben Jahren folgten vier neue Schulen bis ich mir die fünfte selbst aussuchen konnte. An dieser Schule bin ich heute noch, inzwischen seit über 20 Jahren.
Viele Höhen und vor allem Tiefen hat es gegeben. Ein Stück weit habe ich neben viel Herzblut für die Belange meine Schüler auch Gesundheit gelassen. Ich liebe den Neuanfang des Schulgartens und wenn ich in „meine“ Werkräume gehe fühle ich mich in der Seele einfach wohl. Trotzdem habe ich in diesem Sommer beschlossen, nach 39 Jahren im aktiven Schuldienst, die Möglichkeit in Anspruch zu nehmen, mit Abzügen, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Keine sieben Jahre mehr, sondern nur noch fünf. Die Nase ist zu, trotz OP, durch Holzstaub, Allergie und was immer auch. In der Lunge pfeift es wieder, obwohl ich brav meine Sprays nehme.
11 Kräuterschule
Beinahe hätte ich diesen Schulanfang vor einem Jahr vergessen! Wie konnte ich nur, da ich doch mitten in der Prüfungsvorbereitung stecke! So also funktioniert der Verdrängungsmechanismus. 😉
Hinter der Intention die Ausbildung zur Kräuterpädagogin zu beginnen lag der Wunsch die Pflanzenwelt rund um unser sehr großes grünes Schulgelände zu bekommen um das auch in den Unterricht einbringen zu können. Vieles konnte ich mir im Internet anlesen, doch manchmal verwirrten mich unterschiedliche Informationen. So machte ich Nägel mit Köpfen,
Ich wollte es noch einmal wissen, noch einmal anpacken, noch einmal lernen für einen Abschluss. Inzwischen weiß ich wie schwierig es ist sich auf eine Prüfung vorzubereiten wenn man nicht mehr quirlige 15 sondern Endfünfzigerin ist. Wenn dazu noch der Berufs- und der normale Alltag zur Zufriedenheit aller erfüllt werden ist die Luft noch schneller raus.
Daumen drücken zwischen dem 20.10. und 22.10.2017!
Wenn ich die Prüfung nicht schaffen sollte, auch gut. Es war eine Erfahrung und irgendwann muss auch mal gut sein.
Jetzt ist es doch mehr geworden als ich beabsichtigt hatte, wobei ich an mancher Stelle etwas das Thema verfehlt habe 😉 und an anderer etwas weg ließ. Ich bin traurig was nach vielen Reformen von der Hauptschule übrig geblieben ist. Der Facharbeitermangel ist eine hausgemachte Sache. Wie sollen SchülerInnen denn Zugang zu praktischen Arbeiten haben, wenn diese Fächer immer mehr aus den Bildungsplänen gestrichen werden? Die wenigsten Kinder haben von Haus aus ein Werkzeug gesehen und kennen von klein auf eher Computer & Co. Hatten vor zwanzig Jahren Hauptschüler drei Stunden Technik und drei Stunden Hauswirtschaft mit textilem Werken in der 8. Klasse ist für praktisches Arbeiten nur noch ein Bruchteil davon übrig. Wenn es hoch kommt sind es sechs Wochen à drei Unterrichtsstunden für Technik im Schuljahr.
Umfasste mein Lehrplan am Anfang meiner Lehrerzeit nur ein paar DinA5-Seiten stecke ich in einem wer weiß wie vieltem Neuanfang eines Bildungsplans, dessen Inhalt inzwischen so groß ist, dass wir diesen auf einem Datenstick erhielten. Meine studierten Fächer muss ich in neuen Fächern und Fachverbünden zusammensuchen. Ich weigere mich innerlich musisch-technische Erziehung auf Technik und als verkopfte Erziehung zum technischen Verständis so reduziert zu sehen, oder als Basteleinheit in Kunst wiederzufinden. Das Kompaktstudium, dass ich vor einigen Jahren für den Fachverbund Materie-Natur-Technik absolvierte, bringt mir inzwischen wenig. Dieses Fach gibt es so auch nicht mehr.
In meinem Klassenzimmer hängt ein Spruch von dem ich nicht mehr weiß wann ich den gehört habe:
Wenn jeder zur Universität gehen würde wer baut sie dann?
Doch noch ein Wort zum Abschluss,
ich gehe immer noch gerne in die Schule.
Bis die Tage,
Karin
Ehe ich es bei diesem Faktenblog wieder vergesse, er ist mit Astrids Blog verlinkt, wo es auch andere Schul- und Schulanfangsgeschichten nachzulesen gibt!
Kommentare
Nicht ganz konzentriert, weil im Radio interessante politische Diskussionen,
habe ich deinen Post doch mehr überflogen, denn ich bin ja sehr neugierig auf den Werdegang einer Kollegin und konnte immerhin feststellen, wie zielgerichtet du doch deine Schullaufbahn gemanagt hast! Und dann, dass die Schulbehörde in BW mindestens so preußisch-autoritär ist wie in NRW und mit den Lehrern umspringt wie mit Vasallen. Das sieht man dann auch an diesen ständigen Lehrplanveränderungen von oben, an denen nie ein Praktiker Anteil hat.
Deinen Entschluss kann ich nur begrüßen! Ich habe ihn ja auch getroffen und meine 39 Jahre sind auch wegen „Elternzeit“ & Teilzeit auch reichlich durchlöchert. Aber die Lebensqualität geht vor, zumal auch du gesundheitlich nicht ungeschoren aus diesem Beruf gehen wirst. Ich merke ja jetzt schon, wie die Pläne für den Ruhestand zusammenschrumpfen aufgrund physischer Beeinträchtigungen, die uns viel früher ereilen als unsere Eltern…
Alles, alles Gute & vielen Dank fürs Mitmachen!
Astrid
Es war aus Zeitnot und Mangel an Muße zum Schreiben wieder der ganz große Mut zur Lücke. Es fehlt mein Schulstart nach der Geburt meiner Tochter, die schwer behindert ohne Speiseröhre geboren wurde, und wie ich das gemanagt bekam. Den Teil mit den Hintergründen zum Neuanfang an meiner jetzigen Schule und der schwierige Anfang durch eine Reihe von familiären Problemen ließ ich zwar gerne weg, obwohl ich gerade den gerne kurz, knapp, knackig zuende geschrieben hätte.
m Augenblick bin ich froh über das lange Wochenende durch den Feiertag. Ich schrieb es schon auf Facebook. Eine Multikultiklasse zu unterrichten ist nicht einfach. Erschwert wird das, wenn ein Schüler seinen Bescheid zur Abschiebung erhält. Es betrifft einen Jungen der regelmäßig zur Schule geht, wenig fehlt seine Hausaufgaben macht, sich sozial engagiert. Es gibt andere, die bleiben dürfen, obwohl sie nicht zur Schule kommen, …
Ganz lieben Gruß,
Karin