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Altes Wissen aufleben lassen – eine Anleitung

Die Brennnessel fasziniert mich immer wieder von Neuem, ist sie nicht nur das lästige Grün, das mit seinen wehrhaften Brennhärchen den Griff zu den leckersten Himbeeren im Wald erschwert. Sie ist eine der vielseitigsten Wildkräuter, nicht nur in der Küche. Was sie alles kann fasste ich im Januar 2018 schon einmal in einen Blogpost (Link) zusammen.
Eine Faszination teilte ich mit SchülerInnen im Frühsommer dieses Jahres, als wir die Brennnesseln im Schulgarten ernteten und diese bis hin zu Schnüren verarbeiteten. Da ich wiederholt gefragt wurde, wie das denn funktioniert, stellte ich nun diese Anleitung zusammen.

Nesselbast

Zuerst müssen möglichst lange Stengel der Großen Brennnessel geschnitten werden. Dicke Lederhandschuhe sind dazu und für den nächsten Schritt empfehlenswert.

Direkt danach werden die dünnen Nebenstengel und Blätter gegen die Wuchsrichtung abgestreift.

In vielen Anleitungen wird als nächster Schritt ein Messer zum Aufschlitzen der Stengel in Längsrichtung angegeben. Das finde ich nicht nur für SchülerInnen gefährlich. In der äußeren Rindenschicht sind die Bastfasern unter anderem mit Pektin und Lignin verklebt. Das macht sie ziemlich zäh und ein Messer rutscht schnell ab. Deshalb schlage ich die Stengel vorsichtig auf einer festen Oberfläche flach.
Mit den SchülerInnen verwendete ich dazu Pflastersteine, ein Hammer geht natürlich auch. Dadurch soll die harte Stengelhülle aufgebrochen werden, mehr jedoch nicht. Es soll kein Spinat entstehen!

Einmal aufgebrochen wird der Stengel vorsichtig ganz geöffnet, damit das Mark komplett offen liegt.

In regelmäßigen Abständen sind die Sproßknoten zu erkennen. Hier hängen die Bastfasern, an die wir kommen wollen, besonders fest.

Deshalb wird dort nicht zum Herausbrechen des Marks mit dem Knicken begonnen, sondern ca. in der Mitte zwischen zwei Knoten.

Im Idealfall lässt sich nun der Brennnesselbast vorsichtig vom Mark in Richtung Knoten abziehen.

Von beiden Seiten am Knoten angekommen, greife ich beide Enden und ziehe sie gemeinsam von diesem ab. Wenn jeder Strang einzeln und nur von einer Seite abgezogen wird, reißen die Fasern häufig ab.

Hier liegt das herausgebrochene Mark vor den gerade befreiten Bastfasern.

Jedes Teilstück wird genauso gearbeitet, bis nur noch der Bast übrig ist.

Dieser Brennnesselbast kann schon als Material verwendet werden.

Zum Binden und Verschnüren kleiner Päckchen reicht er schon völlig aus, denn er ist erstaunlich stabil.

Diese Stabilität verliert sich auch nicht im trockenen Zustand. Allerdings wird Nesselbast recht hart, wenn er getrocknet ist, doch nicht spröde. Wenn dann etwas bröselt ist es das übrige Mark, das sich nicht von den Fasern lösen ließ.

Nesselschnur

Für längeres Bindematerial können mit dem Nesselbast Schnüre gedreht werden. Dafür werden mindestens zwei Stränge benötigt, die beide einzeln in eine Richtung gedreht werden (beide jeweils links herum oder nach rechts).

In regelmäßigen Abständen müssen die beiden Stränge gemeinsam in die Gegenrichtung miteinander verdrillt werden – das ist im Prinzip wie bei einer Kordel oder beim Spinnen und Verzwirnen von Wolle.

Endet ein Strang wird ein weiteres Stück Bastfaser angesetzt. Bei den SchülerInnen ließ ich sie die beiden verknoten. Ich drehe die Enden vorsichtig zusammen, wie beim Ansetzen neuen ungesponnenen Materials beim Spinnen.
So wächst die Schnur Zentimeter für Zentimeter.

Zum Schluss die Enden mit einem Knoten sichern und fertig ist die Brennnesselschnur, so wie sie schon unsere Vorfahren wohl gemacht haben.

Aufgewickelt wartet dieses Ergebnis auf seinen Einsatz.

Für Gewebe und Strickwerke ist diese Schnur noch zu grob, nicht nur durch die Reste an Mark. Die Brennnesselfasern sind noch von der zähen, dünnen Rinde umhüllt, die für feinere Textilarbeiten entfernt werden muss. Dieses Wissen ist in Teilen verloren gegangen und wird langsam neu entdeckt. Auch übe und lerne auch noch und werde darüber berichten.

Macht’s gut und bis die Tage,

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Kommentare

Es macht weniger Aufwand, als zu erwarten ist, wenn die Brennnessel gleich frisch verarbeitet wird. Richtig Zeit und Arbeit braucht es, wie beim Leinen, an die eigentliche Faser zu kommen.
Viele Grüße,
Karin

Ein ganz wunderbares Projekt hast Du mit den Schülerinnen und Schülern da ja gemacht! Und ja, in der Theorie wusste ich vom Verarbeiten der Brennnessel wie Leinen, aber Deine Anleitung ist so ansprechend und gut, jetzt muss ich hier nur noch Brennnessel finden, was zzt gar nicht einfach ist, weil alles gemäht wurde, wo noch welche standen.
Ich hatte mal gelesen, dass die Stängel geschlagen werden müssen um das Mark lösen zu können, ich werde mal den Gummihammer rausholen, wenn ich es ausprobieren kann.
Danke Dir und ganz liebe Grüße
Nina

Frisch reicht es die Stengel zu schlagen, mit dem Hammer, einem Stein (wie wir), aber nur so viel, dass sich die Stengel spalten und dann von Hand aufbrechen lassen. Diesen Schritt mache ich auch, wenn dich die Stengel zur weiteren Verarbeitung trocknen lassen möchte.
Leinen funktioniert ähnlich, denn es liefert Bastfasern, wie die Brennnessel, oder Hanf, Agaven, …
Liebe Grüße,
Karin

Du machst immer so spannende Dinge! Ganz toll ist auch die genaue Anleitung… ich wüsste sogar, wo lange Brennnesseln stehen…. Aber nein, in diesem Jahr werde ich es wohl nicht mehr versuchen, aber es bleibt im Hinterkopf!
Liebe Grüße – Ulrike

Im Hinterkopf behalten ist sicher eine gute Idee, denn an Material zu kommen ist im allgemeinen kein Problem.
Zur Brennnessel werde ich noch einen zweiten Blogpost nachreichen.
Liebe Grüße,
Karin

Danke!
Gerade bin ich dabei Fasern der Yucca zu verarbeiten. Das könnte für Kindergärten auch eine Alternative sein Schnüre herzustellen. Ich arbeite daran und werde darüber bloggen.
Viele Grüße,
Karin

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