oder …

2020 #25 – Die 14. Woche Zuhause

Montag, Wochenbeginn, unüberhörbar war der Schulstart:
„Saraaaaaah!“, „Ayseeeee!“, Gekreisch und ich dankte der Natur für das dichte Grün zwischen meinem Küchenfenster und der Schule! Natürlich hielten sich die Kinder nicht an Abstandsregeln und Mund-Nasenschutz! Ihnen war es viel wichtiger ihre FreundInnen nach so langer Zeit wieder zu sehen! Sie fielen sich rudelweise in die Arme, Küsschen hier, Handschlagrituale dort. Ich kann es ja verstehen! Wenn ich meinen Sohn endlich wieder einmal sehe werde ich ihn auch in den Arm nehmen! Ebenso dankbar genoss ich, zur Risikogruppe gehörend, die Möglichkeit zuhause bleiben zu dürfen, noch. Meiner Gesundheit taten die ruhigen Tage gut, das heruntergefahrene Stressniveau ein Segen für Körper und Geist.

die erste Blaumeise seit Monaten am Katzenkino

Weniger angenehm empfand ich den anhaltenden Regen. Sicher, die Natur braucht den Regen, erspart mir dieser doch auch die Gänge zum Gießen in die Schulgärten, und es gibt kein schlechtes Wetter wenn man entsprechend gekleidet ist, aber das Dauergrau am Himmel drückt mir immer wieder auf’s Gemüt. Islandsommerwetter versuche ich mir einzureden, um positiv zu denken – Kopf in den Nacken, Augen zu, Arme auseinander, vom Nieselregen beregnen lassen und Zunge herausgestreckt. Mit den so geschärften Sinnen war der beginnende Flugbetrieb in Stuttgart unüberhörbar, die Grübelgedanken wieder da, was ich mit meiner Reiseplanung anstellen soll. In den Nordländern wird am Wochenende Mittsommer gefeiert.

Weberkarde mit Regenwasser

Dienstag hatte ich dann endlich alle Wolle versorgt. Selbst die alten Schätze waren gesichtet und neu sortiert. Die Nähwerkstatt konnte eröffnet werden.
Beim Frühstückstee zeichnete ich erste Pläne, schob Schablonen, errechnete die benötigten Teile.
Fast kein Mucks kam heute aus der Richtung Schule – Hauptschulabschlussprüfung in Deutsch und die Realschüler aus der benachbarten Schule scheuten in der ersten Pause das Wasser von oben.

Die Jung-Erichs ließen sich durch den Regen nicht einschüchtern. Sie spielten den ganzen Morgen Fangen zwischen den Bäumen. Leider ließen sich nicht auf ein Gruppenbild ein – hielten Abstand.

Die Ruhe nutzte ich um alle vorbereiteten Materialkisten, Ordner und Aufgaben für meine SchülerInnen in der Schule bereitzustellen. Vier Kisten schleppte ich, ähnlich der auf dem Bild, die ich am Wochenende zusammengestellt hatte.

Dienstag gab es auch neue Meldungen aus dem Ministerium. Ab dem 29. Juni ist Präsenzpflicht für alle LehrerInnen, mit Ausnahmen. Ich ärgerte mich etwas über den Ton des Schreibens, der unterschwellige Verdacht wir LehrerInnen (aus der Risikogruppe) hätten uns auf die faule Haut gelegt – stand zwar nicht wortwörtlich geschrieben, aber waberte zwischen den Zeilen hervor. So lässt es sich gut aus der Amtsstube schreiben, ohne Blick auf Schulhöfe und -flure. Ein Schüler, ein Handy und vier schauen dem Handyhalter über die Schulter – so sieht es aus! Abstand wird im Klassenzimmer eingehalten, doch in den Pausen und nach Schulschluss verpuffen die Hygieneregeln ins Nirwana.

Ich ließ mir Zeit mit dem Weitertransport der Materialien. Zur zweiten Pause kam kurz die Sonne heraus und mit ihr natürlich auch die SchülerInnen. Wenn es am Rand des Schulhofs schon so aussieht, wird es im Zentrum dicht bevölkert sein. Auf SchülerInnen-Slalom konnte ich verzichten.

Regenpause in der Pause

Mittwoch platzte ein Facharzttermin. Ich hatte Halsschmerzen und wurde so nicht in die Klinik gelassen. Wer weiß wozu das gut war, dachte ich zuerst, hatte ich doch im Vorfeld etwas Unwohlsein beim Gedanken an den Aufenthalt auf diesem Gelände gehabt. Es mag paranoid klingen, da ja allüberall von Lockerungen geredet wird, und „man darf ja wieder“ in vieler Munde ist, bei mir stellen sich unter vielen Menschen Bedenken ein, vor allem wenn ich sehe wie freizügig mit den neuen Regeln umgegangen wird. Mein zweiter Gedanke war, man hätte mich ja testen können! Das Angebot wurde mir allerdings nicht gemacht.

Dann eben Programmänderung und eine Regenpause auf Balkonien genießen. Dort trägt meine Felsenbirne zum ersten Mal Früchte. Lecker!

Es wurde ein kurzes Vergnügen. Keine Stunde saß ich und der Himmel zog zu. Nach ein wenig Grummeln am Himmeln öffneten sich die Wolken wie Schleusentore! Und ich hatte gerade die Wassertonne im Schulgarten geschlossen.
Schirm raus, Auto raus, zum Garten fahren, aus dem Auto raus, Schirm auf, zur Tonne gehechtet, Deckel auf, zurück zum Auto – quietschenass inzwischen – Schirm zu und sehe nach dem Losfahren eine Mutter mit Kind unter einem Dachvorsprung gequetscht stehen. Kurzer Gedanke, so nahe wie möglich herangefahren, Fenster auf, den Schirm überreicht und nur gesagt, sie soll ihn später im Garten ablegen – ein Strahlen geerntet.

Donnerstag bekam der geplante Quilt langsam seine Struktur. Ich war und bin nicht zufrieden, mache aber trotzdem weiter. Zudem musste ich feststellen, dass ich kein Füllmaterial mehr in meinem Lager hatte, zumindest nicht am Stück. Eine Einkaufstour war nötig und ich verpasste dadurch beinahe eine Lieferung an Pflanzen – vor acht Wochen bestellt, kamen sie nun endlich.

Ah, Pakete! Der junge Wilde liebt Pakete und Auspacken und Kartons!

„Ich wars nicht!“

Katerchen liebt auch Körbe, vor allem die kleinen zum Hineinkuscheln. Wenn er allerdings in einen großen Korb steigt ist das kein gutes Zeichen. Nach einer Auseinandersetzung mit seinem Onkel verkroch sich Angus im großen, inzwischen leeren, Wollkorb.

Eine Stunde später holte ich die Katzenapotheke hervor. Ein triefendes Auge musste behandelt werden.

Bei meinem Rundgang über die Schule und die Gärten freute ich mich über meinen Schirm, der im Garten lag. Alle Bekannten und Freunde hatten gemeint, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Falsch gedacht.

Freitag und doch noch ein Arztbesuch. Der Rückweg führte mich über die Schule und die Schulgärten.
Die Schnecken sind dieses Jahr eine echte Plage. Dutzende Schleimer sammelte ich die vergangenen Tage schon ab und an diesem Tag wieder. YUCK!

Von den Paprikapflanzen der Garten-AG-Jungs stehen nur noch Strünke, selbst vor den ganz scharfen Chilis machten sie keinen Halt. Keine Bohne steht mehr, nicht eine von den 30 gesteckten Pflänzchen.

Blutzikade

Samstag und mich für einen Morgenspaziergang, mit Abstecher am Spargelstand entschieden. Nun, vom Spargel gab es nur noch kümmerliche Reste. Erdbeeren und Kirschen sind auch lecker, oder?

Unterwegs blühten Klatschmohn, Wiesen-Storchschnabel, Kratzdisteln, verschiedene Leimkräuter, Skabiosen und Wiesen-Labkraut um die Wette, gut besucht.

Zur Recherche zu Welt- und Aktionstagen bin ich diese Woche wenig gekommen. Einer blieb dann übrig.

Am heutigen Samstag, dem 20. Juni, ist Weltflüchtlingstag.

Interview auf Deutschlandfunk Kultur mit Dennenesch Zoudé
Link zur Seite des UNHCR Deutschland mit einem Video, das nachdenklich macht

Nun zurück an die Arbeit und an die Nähmaschine.

Macht’s gut und bis die Tage,


Verlinkt mit dem Samstagsplausch von Andrea Karminrot

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Kommentare

Gerade habe ich gelesen, was nach den Lockerungen der Maßnahmen in Israel geschehen ist. Schulen und Wirtschaft auf, Schlendrian und Leichtsinn lebte auf und schon rollt nun die zweite Welle auf die Armen zu. 40 % der Schüler*innen haben sich in der Schule infiziert…
Wäre ja nett, wenn wir aus den Fehlern anderer lernen könnten.
Deine Eichhörnchen sind da schlauer.
Und den jungen Wilden habe ich eh ins Herz geschlossen.
Liebe Grüße
Andrea

Nicht nur weil Mittsommer in Skandinavien das vergangene Wochenende war, bringen mich die Meldungen aus Schweden immer wieder zum schlucken. Israel und Gütersloh, China … zeigen so deutlich, wie schnell die Infektionen steigen können.
Ja, Katerchen weiß sich zu verkaufen! Im Unfug machen perfektioniert er sich. Aber ihm böse sein, bei diesen Augen und diesem Blick? 😀
Viele Grüße und einen guten Wochenstart,
Karin

Nach Deinen Worten ist es also in Österreich auch nicht anders, in Sachen Schleimviecher und Schulaufsicht. Irgendwie ist man etwas machtlos gegen beide. Wenn du ein gutes Rezept gegen erstere hast, her damit!
Komme gut in die neue Woche. Mit vielen Grüßen,
Karin

Das Video muss ich mir heute ersparen, denn meine ganze positive Stimmung nach Wiedersehen mit meiner schwerkranken Schwester und heute der Zürcher Tochter habe ich aufgebraucht, um den Gefährten aus seinem wieder aufgetanen Loch zu holen… den autoritären Ton wie aus Kaiserszeiten brauch ich gar nicht lesen, den hab ich schon so ( noch immer) im Ohr. Und klar, alle Lehrer sind Simulanten und Betrüger und machen sich nen Lenz. Ich seh ja auch hier, wie die Youngsters auf unserem 1,10- Meter-Bürgersteig sich an einem offensichtlich schwer behinderten Menschen vorbeidrängen. Anstandsregeln, warum? Kein Wunder, dass man da schon mal auf dumme Gedanken kommt. Ach Mensch, Karin! Schön, dass du noch mitdenkst und andere in ihrer Not wahrnimmst! Tu bitte ganz viel für dich, was dir gut tut!
Herzlich
Astrid

Inzwischen nutze ich einen, von Unbekannt, abgestellten Korb am alten Schulgarten als Schirmständer für ausgeliehene Schirme. Das hat sich so ergeben.
Deine Empfehlung an mich möchte ich Dir unbedingt auch geben!
Mit vielen lieben Grüßen,
Karin

Jede und jeder, der findet, ich hätte einen Easyjob, kann sofort übernehmen. 🙂 Den Neid unter Kollegen finde ich schlimmer. Was kann die HW-Lehrerin dafür, dass sie nicht mit den Sus kochen darf? Was habe ich weniger, weil sie weniger arbeitet? Was habe ich mehr, wenn sie mehr arbeitet? Mein Mutter pflegte zu sagen: „Sie vergunet denand no s Buuchweh!“ Ja, so ist es. Die eigene Unzufriedenheit spricht, aber statt da aktiv zu werden, wird lieber auf andere gezeigt. Ein Glück geht es mir besser als ihnen. 🙂

Mach dir nichts draus!

Ich sehe die Lockerungen auch mit sehr gemischten Gefühlen. Zuviele Menschen sind wohl der Meinung, dass alles vorbei ist. Mitnichten. Israel gibt ja gerade ein leuchtendes Beispiel ab.
Ich bin ja in der beruflichen Ausbildung tätig. Noch fahren wir Unterricht in geteilten nGruppen und das dann im Zweischichtsytem udn versteztem Unterrichtsbeginn. Klappt ganz gut. Man begegnet im Haus tatsächlich weniger Menschen. Aber für uns Lehrkräfte ich dieses Zweischichtsystem auch echt anstrengend. Der Unterricht geht zwangsläufig länger. Vor- und Nachbereitung leiden ein bisschen.
Und ab September soll wieder normal unterrichtet werden. 28 Nachwuchskräfte in einem Raum. Mir graults!
Aber nun zu etwas anderem. Was hast du für eine süße Samtpfote. Der ist ja zum Knuddeln!

Einen schönen Sonntag für dich!
Marion

Auch an meiner Schule läuft abgespeckter Unterricht im Schichtsystem – hauptsächlich D, M, E in der Präsenzzeit – ansonsten sollen die SchülerInnen zuhause arbeiten. Unterstützung gibt es über das Internet, via Schulcloud und anderen Angeboten.
Normalen Unterricht ab September kann und mag ich mir noch nicht vorstellen, schon gar nicht fachpraktischen Unterricht in Technik oder in der Schulküche.
Viele Grüße,
Karin

Dein Wochenrückblick ist toll geschrieben.
Die Abstandsregeln einzuhalten fällt den meisten immer schwerer. Sie leben schon zu lange nach dem MUSS. Die Kinder haben es vermisst sich, wie die Eichhörnchen, zu jagen und zu bespielen.
Mach dich nicht verrückt und lass dir einreden, dass Lehrer nur simulieren. Ich will sehen, wie die an der obersten Stelle reagieren würden.
Die Schirmgeschichte finde ich sehr interessant. Auch da wieder, das fehlende Vertrauen in die Gesellschaft. Dabei ist doch wieder einmal alles gut gegangen.
Lieben Gruß
Andrea

Der Schirmverleih ging weiter – was für ein Wechselwetter am Wochenende mit Sturzfluten von oben!
Und dann die Ausschreitungen in Stuttgart … Vertrauen zum Gros meiner Mitmenschen habe ich. Durch meine Arbeit mit meinen schwierigen Schülern weiß ich allerdings auch, wie wenig Vertrauen diese haben und wie schnell Stimmungen kippen können.
Viele Grüße,
Karin

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